Friday, July 6, 2007

Internet in China - unfortunately just in German

28.06.2007 (sueddeutsche.de)

Chinas Mittelschicht entdeckt das Internet
Meinung ja, Freiheit nein
Mit elektronischen Hilfsmitteln beginnt die chinesische Mittelschicht, sich öffentlich zu artikulieren. Doch zarte Keime bürgerlichen Engagements passen dem Pekinger Regime gar nicht in den Kram.

Von Johannes Kuhn

Die SMS war anonym und sie erreichte innerhalb weniger Stunden Tausende Bewohner der chinesischen Hafenstadt Xiamen: "Die Xianglu-Gruppe investiert in eine hochgiftige Chemiefabrik im Haicang-Distrikt. Das ist wie das Entzünden einer Atombombe in Xiamen. Wir werden an Leukämie erkranken und missgebildete Kinder gebären", konnten viele Handybesitzer Ende Mai auf ihrem Display lesen.

Nun sind die 2,3 Millionen Bewohner von Xiamen nicht gerade als Dissidenten bekannt: Die Industrie floriert, unter anderem steht dort eine Fabrik des deutschen iPhone-Zulieferers Balda. Doch der Bau einer 1,8 Milliarden Euro teuren Chemiefabrik direkt am Stadtrand beunruhigte die Bewohner. Normalerweise stehen Anlagen, die das Materiali Paraxylene (PX) produzieren, mindestens 20 Kilometer außerhalb eines Wohngebiets.

So wurde das Thema auch in Internetforen und Blogs aufgegriffen und diskutiert. Ehe die Zensoren einschreiten konnten, fanden sich Tausende Menschen zusammen, um gegen die Fabrik zu demonstrieren. Viele von ihnen gehörten zur Mittelschicht, die sich eigentlich loyal zu den Regierungsbehörden verhalten.

Die Stadtverwaltung wurde vom plötzlich aufkeimenden zivilen Ungehorsam kalt erwischt: Erst ließ sie verkünden, die Fabrik würde wie geplant gebaut und verordnete ihren Mitarbeitern Wochenendschichten, um sie an der Teilnahme an den Demonstrationen zu hindern. Kurz darauf musste Vizebürgermeister Ding Guoyan jedoch einlenken und einen Baustopp erlassen, um weitere Untersuchungen zu möglichen Umweltschäden zu ermöglichen.

Es gibt zarte Anzeichen dafür, dass sich in China Vorformen einer Zivilgesellschaft entwickelen – und sie führt ihre Debatte über das Internet. Als Anfang Juni Gerüchte über die Haltung junger Arbeitssklaven in der nördlichen Provinz Shanxi die Runde machten, wurden Internet-Foren schnell zum Multiplikator. Bald schon stand eine Online-Petition im Netz, in der die Eltern von für die Zwangsarbeit verschleppten Kindern um Hilfe baten.

Als sich auch die offiziellen Medien der Geschichte annahmen, hatten die chinesischen Behörden bereits Schritte eingeleitet: Regierungsangaben zufolge nahmen 45.000 Polizisten Razzien in mehr als 8.000 Ziegeleien und kleinen Kohle-Bergwerken vor, Hunderte von Zwangsarbeitern wurden seitdem befreit, Firmenbosse und korrupte Aufsichtsbeamte verhaftet.

56 Millionen Breitband-Anschlüsse
Es ist ein uneinheitliches Bild, das China im Jahr 2007 bietet: Auf der einen Seite besitzen 56 Millionen Chinesen einen Breitband-Internetanschluss, eine breite Mittelschicht entdeckt dadurch Chaträume und Internetforen. Die Regierung hat den Ausbau der Online-Infrastruktur durch staatliche Programme gefördert, nicht zuletzt, um Unternehmen aus dem In- und Ausland westliche Rahmenbedingungen zu bieten.

Die Kehrseite der Online-Medaille ist, dass China ein kontrolliertes Internet haben möchte, das die Autorität des Regimes in Frage stellen könnte - was bei der gigantischen Menge an Informationen, die durch die Datenleitungen fließen, ein mühsames Geschäft ist.

Gebetsmühlenartig wiederholt Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao seit einigen Monaten seine Forderung nach der Befreiung des Internets von "ungesunden" Inhalten.

In der Realität sieht das klinisch reine China-Net so aus: Die Festnahmen von Cyber-Dissidenten in China haben nach Angaben der Menschenrechts-Organisation Amnesty International in der jüngeren Vergangenheit nochmals zugenommen.

Ein "sauberes" Netz
Experten vermuten Schlüsselwort-Filter an wichtigen Knoten- und Endpunkten des Netzes und bis zu 30.000 Zensoren, die Online-Foren, Nachrichtenseiten und Blogs von staatlicher Seite aus überwachen.

Google bietet weiterhin nur eine vorzensierte Version seiner Suchmaschine an, die bei Suchworten wie "Falun Gong" keine Ergebnisse zeigt, die Fotocomunity Flickr ist von China aus zur Zeit gar nicht erreichbar – unter anderem, weil dort Fotos der Demonstrationen in Xiamen zu sehen sind.

"Die Informationsverbreitung ist ein wichtige Säule, um eine Zivilgesellschaft entstehen zu lassen“, erklärt der China-Experte Thomas Heberer von der Universität Duisburg, “was wir jetzt erleben, sind höchstens sehr frühe Vorformen eines Zivilbewusstseins.“

So sind die Demonstrationen gegen die Chemifabrik für ihn kein Umweltstatement, sondern nichts anderes als der Protest von Wohnungsbesitzern, die nicht neben einer vermeintlichen Giftanalage wohnen wollen. „Es hieß ja auch: Baut das Ding überall in China, nur nicht bei uns.“ Dazu passen auch die Gerüchte, dass Immobilienfirmen hinter der anonymen SMS steckten.

Frühe Vorformen des Zivilbewusstseins
Dirk Pleiter von Amnesty International vermutet, dass die Online-Vernetzung einer anderen Bevölkerungsgruppe der Regierung in Peking viel mehr Sorgen macht. So gibt China die Zahl der Unruhen jährlich zwischen 80.000 und 90.000 an.

“Die Proteste schaffen es aber nie, die lokale Ebene zu überschreiten“, sagt Pleiter, “Die Größe der Studentenproteste von 1989 war eine absolute Ausnahme, die der Staat um jeden Preis verhindern will – weil er wahrscheinlich wieder ähnlich reagieren würde.“

Ein möglicher Unruheherd ist die verarmte Landbevölkerung, die sich seit Jahren über die schlechten Lebensbedingungen beschwert. Würden sich hier Unruhen über die Provinzen hinweg verbreiten, könnte die Regierung die Situation nur schwer kontrollieren.

Deshalb, so Pleiter, “wird der Zugang zu Internetcafés immer weiter eingeschränkt.“ In Regionen wie Tibet, das nach Autonomie strebt, müssen sich Nutzer in Internetcafés sogar ausweisen.

Das Internet als Sensor für Themen mit Sprengkraft
Bisher hat die Methode Erfolg: “Das chinesische Volk weiß, dass die Informations- und Meinungsfreiheit auch im Internet seien Grenzen hat“, glaubt Pleiter und Heberer ergänzt: “Die Schrecken der Kulturrevolution sitzen immer noch tief. Die Mehrheit der Menschen möchte sich überhaupt nicht am öffentlichen Geschehen beteiligen.“

Wer es trotzdem tut und Informationen ins Internet stellt, die der Regierung nicht gefallen, kann durch die Dehnbarkeit der Gesetze schnell wegen Staatsverrats ins Gefängnis wandern.

Allerdings hat die chinesische Regierung zumindest begriffen, dass Einschüchterung alleine nicht mehr reicht. Als die Situation der Arbeitssklaven von Shanxi thematisiert wurde, mussten die Behörden reagieren, um den entstehenden gesellschaftlichen Druck abzubauen.

Das Internet, so scheint es, ist ein idealer Sensor, um solche Themen auszuspüren und ihnen von vorneherein die Sprengkraft zu nehmen. Und auch die Kraft des Mobiltelefons hat das Regime bereits für seine Zwecke genutzt: Als 2005 Proteste gegen Japan schüren wollte, organisierten die Funktionäre die Demonstrationen per SMS.

Die eigentliche Zivilgesellschaft, glaubt Heberer deshalb, entsteht an anderen Stellen: “In einigen Ostküsten-Städten wie Shenyang und Shanghai herrscht durch die vielen Einwanderer und ausländischen Investoren ein liberaleres Klima. Dort beginnen die Menschen, ihre Bürgerrechte vor Gericht einzuklagen. Und sie bekommen sogar manchmal Recht.“

Die Bewohner von Xiamen hingegen konnten ihre neue Kommunikationsfreiheit nur kurz ausleben: Inzwischen sind die Foren-Einträge zum Thema Chemiefabrik gelöscht, Handy-Kurzmitteilungen mit entsprechenden Schlüsselwörtern erreichen ihren Empfänger nicht mehr.

Chinas Weg in die Demokratie scheint also trotz besserer Vernetzung eher einem langen Marsch gleichen – aber an große Sprünge nach vorn hat man im Reich der Mitte ohnehin keine guten Erinnerungen.


(sueddeutsche.de)

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